Perry Rhodan betritt sein Homeoffice, löscht die Deckenleuchte nachdem er vor dem Plasmascreen Platz genommen, den Rechner gestartet hat. Es dauert einige Momente, dann wählt er sich ins World Wide Web ein, startet das E-Commerce und scant die Angebote. Mehrere Anbieter offerieren das gewünschte und gesuchte Ersatzteil, er vergleicht die Preise der Angebote, schaut sich die Teile im vergrößerten Bild genau an, prüft ob Qualitätsunterschiede oder andere für ihn wichtige Details nicht dem Wunsche entsprechen. Alles geschieht schnell und lautlos, die Entscheidung ist gefällt. Via E-Post erteilt er den Auftrag, schaltet zum International-Banking und veranlasst die sofortige Zahlung des Rechnungsbetrages einschließlich der Versandkosten. Zufrieden lehnt er sich zurück, morgen, spätestens übermorgen, wird ein Bote eines der mehreren weltweiten Versender vor seiner Türe stehen und das begehrte Teil anliefern. Alles natürlich schnell und preiswert. Wettbewerb belebt das Geschäft. Ich schnelle hoch, hatte ich so eben einen Stromschlag erlitten? Nö, mein Bett war wie sonst immer, diesmal nur deutlich mehr morgentlich zerwühlt, warum?Zum Aufstehen noch zu früh, hatte ich wohl offensichtlich Alb geträumt.

Gestern, ja verdammt, gestern war ich durch den TÜV gefallen. Nein, genau genommen nicht ich, sondern meine Isetta, was aber letztendlich auf das Gleiche auslief. Hatte ich mir doch so Mühe gegeben, alles geputzt und gewienert, Licht, Hupe alles funktionierte, diesmal hatte ich auch den Schlüssel für das Schaltungsschloß dabei, das war mir beim letzten mal zum Verhängnis geworden, den Luftdruck geprüft, stimmte, alles war im Lot. Und nun das! Ich glaubte ein diabolisches Lächeln zu erkennen, hörte den so sehr geliebten Prüfer sagen, „junger Mann, ihr Rücklicht ist nicht mehr rot und entspricht in diesem Zusand nicht der xyz Strassendigsda-Vorschrift und da sie nur ein Bremslicht haben ist das ein grober Mangel, eigentlich müsste ich Stilllegen“.

Das war‘s!

Von jetzt an sah ich alle Uhren nur noch rennen, einen Magneten daneben platzieren oder, ja, einen Nagel in die Zwölf, die Zeit lief! 6 Wochen, so hieß das Ultimatum, in sechs Wochen war Aus, Schluss, Ende!Woher sollte ich ein Rücklicht nehmen, BMW hatte ihren Lebensretter schon längst vergessen, ich war es der den kümmerlichen Bestand der Aachener Vertretung aufgekauft hatte, brauchte nicht suchen, wußte ganz genau, es war keines dabei gewesen. Das es nicht mehr wirklich schön war, ja das war mir wohl auch schon aufgefallen. Dieser Kunststoff, durch den das Bremslicht mit 20 Watt kräftig rot leuchten sollte, zersetzte sich von aussen durch Sonne und Witterung. Im Material durch vergilben und erblassen und innen durch verspröden und abblättern von der Stauwärme des Sommer und der Glühbirne. Es war zum Heulen.  Schon Tage hatte ich quer durch die Republik angerufen, alle Freunde und Bekannte mobilisiert, wer eines hatte, es war nicht besser, alle litten an den gleichen Krankheiten, eine hinraffende Epidemie, der Countdown lief.

Von der Arbeit heim gekommen, öffnete ich sofort den Brief, das Essen musste halt warten. Muttern zehterte, es wird kalt, egal; ein Rücklicht? Nein, der Präsident des Isetta-Clubs hatte auch keines, aber er legte in seinem Brief einen kopierten Handwerbezettel eines Engländer bei. Oh je, alles in auswärts geschrieben, Skizze und ein Blick über den Gesamtinhalt, ja klar, das war das rote Glasteil der Rücklichtschwalbe. Was, einhundert zwanzig D-Mark! Junge Junge, der ließ sich aber seine Nachfertigung in Gold aufwiegen. Morgen in der Pause würde ich erfahren, das eine Überweisung in den Commonwealth 35 Mark kostet und der Versand noch oben drauf kommt. Wenn ich also nun direkt eine Bestellung schreiben würde und mit Eilpost versenden… Ich hatte das Geld doch gar nicht und nur noch 14 Tage. Was wenn das alles dann noch länger dauern würde, nicht richtig passen, oder der Farbton nicht genehm wäre, andere Länder andere Farben. Nicht auszudenken wenn das orange wäre. Ich hatte Fieber und das schon anhaltend lange. Lotto spielen? Nein, das war alles eigentlich keine Lösung und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde es auch nicht mehr zeitlich auskommen.

Reparieren, aber wie! Schwanger mit dem Gedanken durchforstete ich Kataloge, die Werkstatt und dessen Lager in der ich werkelte. Das könnte hingehen! Voriges Jahr hatten wir für eine Boutique auf dem noblem Aachener Damengraben in grellen Leuchtfarben gebeizte Möbel hergestellt. Ja, da war auch ein tiefrotes Rot dabei. Vorsichtig lasierte ich nun in der Frühstückspause, der Mittagspause und direkt nach Feierabend je eine Lage auf das demontierte Rücklichtglas. Gewaschen, geschliffen die losen Schuppen des versprödeten verblichenen Plastik vorher sorgfältig entfernt. Zuerst vorsichtig eine hauchdünne Lage aufgetragen, denn einige der modernen Werkstoffe lösten alles unweigerlich an und auf, zerstörten es, oder reagierten mit den Inhaltsstoffen der Träger und verschrumpelten zu der gefürchteten Netzgitterhaut.Wenn wir alte Möbel restaurierten, wurde immer, wirklich immer vorher an einer nicht gut einsehbaren Stelle ausprobiert, ob sich die Werkstoffe vertrugen. Nicht selten kippte trotz aller Vorsorge im letzten Moment der aufgetragene Lack um und wurde milchfarben weiß, dann genau wie die Gesichtsfarbe unseres Chef.

Nein, es funktionierte, mit jeder Lage kam ich einem satten Rot näher. Gut ablüften lassen und nun mit dem 00-Pinsel die Risse mit Klarlack auffüllen, immer wieder Zwischenschleifen, es wurde eng, die Zeit rannte unerbittlich. Der vorletzte Tag, abends ging nicht, da wollte ich es ja mitnehmen und montieren, der Chef hatte Verständnis, also mindestens 4 bis fünf Lagen Klarlack musste ich schaffen. Ja sicher neben der Arbeit, in den Pausen und mit Erlaubnis zwei mal zwischendurch. Der Prüfer schaute, treten Sie mal auf die Bremse, wo haben Sie denn das neue Glas aufgetrieben, ja, Glück gehabt, direkt vom Hersteller aus England ein sündhaft teuer Restposten und eben erst eingetroffen!

Würde ich die Wahrheit sagen, könnte er es sich anders überlegen?Die neuen Desmodur-Desmophen-Lacke waren wirklich gut, es ist heute noch im Dienst das Rücklicht, auch wenn ich nun bei mehreren Anbietern für morgen ein neues bestellen kann, trennen möchte ich mich nicht davon, so lange es geht halt!

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